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Kurzgeschichte

Süßes Blut


„Du hast eben süßes Blut“, versuchte meine Mutter mich immer zu trösten, wenn ich mal wieder von den Mücken zerstochen wurde. Das hat mich nicht wirklich getröstet, denn ich fand das damals ziemlich unlogisch: Eine Mücke weiß doch erst, dass ich süßes Blut habe, wenn
sie mich schon gestochen hat und mein Blut „schmecken“ kann. Warum aber kommen die alle zu mir, meiner Mutter oder auch meiner Tante aber nie zu meinem Vater?

Als unser Hund Flöhe hatte passierte genau dasselbe: Meine Mutter, meine Tante und ich wurden auch von den Hundeflöhen gebissen. Mein Vater hat niemals auch nur einen Flohbiss abgekriegt! So hatte er nie Verständnis aufbringen können für unser Klagen und Gejammer und unsere aufgekratzten Beine - Flohstiche jucken nämlich höllisch und das über Wochen.

Bei meinen Freunden, die Tiere hatten, wurde ich als „Flohindikator“ eingesetzt. Zum Beispiel hatte eine Freundin von mir zwei Katzen. Sie wohnte im vierten Stock, die Katzen kamen also niemals aus dem Haus. Nachdem ich etwa eine halbe Stunde bei ihr war, haben mich zwei Flöhe gebissen. Meine Freundin wollte mir absolut nicht glauben als ich ihr das sagte. Ich war jedoch eine erfahrene „Flohkillerin“ und fing den nächsten Floh, der auf mein Bein krabbelte und zerquetschte ihn zwischen meinen Fingernägeln. Der Anblick des toten Flohs überzeugte dann auch meine Freundin - wie auch immer die Flöhe in ihre Wohnung gekommen waren.

Vor etwas zehn Jahren wurde bei meinem Vater Leukämie diagnostiziert, das ist Blutkrebs. Er musste sofort eine Chemotherapie machen. Die einzige permanente Heilung ist eine Knochenmarktransplantation. Dies ist allerdings auch mit einem hohen Risiko verbunden: Alles eigene blutbildende Knochenmark wird abgetötet. Wenn das neue injizierte Knochenmark nicht anwächst, dann war es das.

Meine Tante – die Schwester meines Vaters – war zum Glück nicht nur eine optimale Spenderin sondern auch bereit, sich der nicht ganz harmlosen Knochenmarkspenderprozedur zu unterziehen.

Die Transplantation war erfolgreich. Nun produziert also der Körper meines Vaters dasselbe Blut wie der Körper meiner Tante. Ist das nicht erstaunlich?

Mein Vater wurde nicht ber alle Aspekte dieser Transplantation aufgeklärt. Als er nun die nächste Bluttransfusion bekommen sollte und mein Vater die Blutgruppenbezeichnung auf der Packung las, geriet er in Panik: „Das ist doch gar nicht meine Blutgruppe!“ „Doch“, beruhigten ihn die Krankenschwestern, “sie haben jetzt auch eine andere Blutgruppe, nämlich genau dieselbe wie ihre Schwester.“

Mein Vater musste sich auch noch an etwas anderes gewöhnen. Er wird jetzt nämlich sehr gerne von allen möglichen Insekten gestochen! Er klagt und jammert und hat aufgekratzte Beine. Wir lachen nur darüber und empfehlen ihm ein langbewährtes juckreizlinderndes Mittel.
Meine Mutter hatte offenbar – wie so häufig – doch recht: Es liegt am süßen Blut. ...


© Brenda Hilbig

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